Der Energieanbieter Naturstrom versorgt die oberfränkische Gemeinde Hallerndorf über ein Leitungsnetz mit regenerativer Wärme aus Holz und Sonne. Welche Vorteile die Solarthermie bringt, mit welchen Argumenten sich Hausbesitzer von einem Anschluss überzeugen lassen und welche unterschiedlichen Betreibermodelle sich anbieten, erläutert Naturstrom-Bereichsleiter Thilo Jungkunz im Interview.
Herr Jungkunz, Naturstrom realisiert zu 100 Prozent erneuerbare Nahwärmeversorgungen. Wovon hängt es ab, ob sie Solarwärme einbinden?
Thilo Jungkunz: Wenn wir ein Nahwärmenetz bauen, ist die Solarthermie einer der wesentlichen Bausteine. Aus zwei Gründen: Weil sie zum Gesamtziel passt, eine 100 Prozent regenerative Energieversorgung zu realisieren, und weil es nicht nachhaltig und nicht mehr zeitgemäß ist, Holz im Sommer zu verbrennen, um Wärme zu erzeugen. Wenn die Sonne quasi kostenlos Energie liefert.
Wie schneidet die Solarthermie wirtschaftlich ab?
Jungkunz: Bei einer Vollkostenrechnung, welche die Investition und die laufenden Betriebskosten enthält, kommen wir nach unseren Berechnungen und Erfahrungen auf einen Wärmegestehungspreis von etwa drei Cent pro Kilowattstunde. Diese Kosten bleiben 20, wahrscheinlich sogar 25 Jahre lang nahezu konstant und entsprechend planbar, wenn die Anlage einmal errichtet ist.
In Hallerndorf haben Sie Vakuumröhrenkollektoren der Firma Ritter XL Solar installiert. Warum haben Sie sich für diese Technologie entschieden?
Jungkunz: Hallerndorf liegt im Mündungsbereich der Aisch. In der Region gibt es den Spiegelkarpfen, eine Delikatesse. Als in der Gemeinde und in der Wasserbehörde das Wort Glykol als Solarwärmeträgermedium gefallen ist, sind dort die Alarmglocken losgegangen. Letztendlich haben wir uns aus drei Gründen für die Vakuumröhrenkollektoren der von Ritter XL Solar entschieden. Erstens: Die Ritter-Systeme arbeiten mit Wasser. Wasser ist als Wärmeträger günstig, hochtemperaturbeständig und umweltfreundlich. Zweitens: Solaranlagen mit Glykol-Wasser-Gemisch vertragen keine thermische Stagnation. Deshalb müssen sie mit großen Speichern ausgelegt und/oder mit einer Kollektorfeld-Notkühlung ausgestattet werden, was wiederum zusätzliche Investitionskosten für den Betreiber bedeutet. Drittens: Das Gesamtkonzept von Ritter XL Solar sowie die planerische Unterstützung und Vor-Ort-Betreuung haben einfach gepasst.
Wie ist die Solaranlage ausgelegt?
Jungkunz: Sie ist so dimensioniert, dass sie im Sommer allein das Nahwärmenetz versorgen kann. Wir haben als Zielsetzung einen solaren Deckungsgrad von über 25 Prozent. Die Auslegung hängt unter anderem von der Abnehmerstruktur und der Beschaffenheit der Gebäude ab.
Ihre Firmenphilosophie lautet, allein mit erneuerbaren Energien ein Nahwärmenetz zu versorgen. Ist das ein Grund, warum sich Haushalte anschließen?
Jungkunz: Die Kombination von Holz und Solarthermie bei der Wärmeerzeugung ermöglicht einen erneuerbaren Energieanteil an der kommunalen Nahwärmeversorgung von 100 Prozent. Das löst bei den Bürgerinnen und Bürger meist den berühmten Aha-Effekt aus. In den Köpfen ist oft noch verankert, dass es auch bei Nahwärmenetzen nicht ausschließlich mit erneuerbaren Energien geht, sondern beim Redundanzkessel meist auf Öl gesetzt wird. Mit unseren Nahwärmeprojekten haben wir bewiesen, dass ein 100 Prozent regenerativer Anteil funktioniert und es sich rechnet.
Was sind die Gründe für einen Anschluss?
Jungkunz: Bauherren kommen bei der KfW in eine für sie bessere Förderklasse, wenn sie einen Nahwärmeanschluss und damit einen niedrigen Primärenergiefaktor nachweisen können. Viele Menschen bauen heutzutage keinen Keller mehr. Waschmaschine und Trockner müssen dann mit der Heizung in einen Hauswirtschaftsraum. Mit einem Nahwärmeanschluss sparen sie sich viel Platz für die Heiztechnik. Bei Mietwohnungen achten die Bewohner immer mehr auf die Energieeffizienz des Gebäudes. Ein Nahwärmeanschluss bietet nicht nur einen gewissen Komfortgewinn, auch der Wert der Immobilie steigt.
Oft hilft der Investitionsstau im Heizungskeller. In Hallerndorf beispielsweise hatten fast 80 Prozent der Abnehmer eine alte Ölheizung, welche größtenteils älter als 18 Jahre waren. Die Bürgerinnen und Bürger standen vor der Entscheidung, ob sie nochmal viel Geld für eine neue ausgeben sollten oder sich an die Nahwärme anschließen und damit all ihre Sorgen losbekommen. Das denke ich, war das Hauptargument. Wir sind zum richtigen Zeitpunkt gekommen.
Hört sich einfach an. Mehr braucht es nicht?
Jungkunz: Doch. Man muss zuerst das Vertrauen der Menschen gewinnen. Das schaffen wir durch Bürgersprechstunden, in denen wir individuelle Fragen beantworten. Beispielsweise wird häufig gefragt, ob es bei einem Nahwärmeanschluss verboten ist, weiter seinen Kachelofen oder eine bereits installierte Solarthermieanlage zu betreiben. Viele Wärmenetzbetreiber schließen solche Energieerzeugungsarten aus. Das machen wir nicht. Wenn jemand einen Kachelofen im Wohnzimmer stehen hat, ist das ok. Wenn jemand bereits eine Solarwärmeanlage installiert hat, kann er sie weiterhin nutzen. Wir schließen das Gebäude an das Nahwärmenetz an und stellen die Wärmeübergabestation leistungsgemäß ein.
Durch Bürgerinformationsveranstaltungen, die Berichterstattung in der regionalen Presse, aber insbesondere auch durch unsere projektbegleitende Öffentlichkeitsarbeit spricht sich das Projekt immer mehr im Ort rum. Wenn es dann um die technische Detailplanung geht, ist es entscheidend, die Leute mitzunehmen, weil für sie alles Neuland ist. Sie wollen natürlich wissen, wie die Wärme zukünftig erzeugt wird und wie sie bei ihnen zu Hause ankommt. Zusätzlich zu den vorher genannten Maßnahmen bieten wir interessierten Bürgerinnen und Bürger an, bereits in Betrieb befindliche Energiezentralen und regenerative Nahwärmenetze zu besichtigen. So können sie sich ein Bild machen.
Was kostet den Abnehmern die Wärme?
Jungkunz: Der durchschnittliche Wärmetarif, Arbeitspreis plus Grundpreis, liegt bei 9,5 Cent pro Kilowattstunde für den Haushaltskunden. Der Tarif ist abhängig von der Größe der Übergabestation.
Unterscheiden sich die Preise der verschiedenen von ihnen gebauten Nahwärmenetze?
Jungkunz: Nein, sie sind bei allen von Naturstrom realisierten Nahwärmeprojekten gleich. Wir bieten einen deutschlandweit einheitlichen Tarif. Das ist die Herausforderung: Das Nahwärmenetz so zu planen, dass es sich für alle Beteiligten rechnet.
In Hallerndorf besitzt Naturstrom das Netz. Ist das in jedem Projekt der Fall?
Jungkunz: Nein. In Moosach im Landkreis Ebersberg gibt es eine kommunale Genossenschaft, in welcher sich mehrere Gemeinden zusammengeschlossen haben. Das Konzept sieht vor, dass die kommunale Genossenschaft die Energiezentrale zusammen mit Naturstrom in einer gemeinsamen Gesellschaft betreibt. Die Gemeinde Moosach finanziert und betreibt das Nahwärmenetz, die Wärmekunden werden in einer Bürgerenergiegenossenschaft gebündelt.
Wenn eine Gemeinde sich dazu entscheidet, selbst in das Nahwärmenetz zu investieren und es auch zu betreiben, besteht für sie die Möglichkeit, einen Teil ihrer Investition in das Nahwärmenetz über das Amt für ländliche Entwicklung gefördert zu bekommen. Außerdem können Synergien beim Ausbau des Breitbandzugangs genutzt werden. Um die Gemeinden entsprechend beraten zu können, haben wir zwei Mitarbeiterinnen eingestellt, die sich nur um Bürgerbeteiligungsmodelle und Fördermaßnahmen kümmern.
Das Konstrukt hängt dann von der Gemeinde ab?
Jungkunz: Der Umstieg auf eine erneuerbare Nahwärmeversorgung kann nur in enger Zusammenarbeit mit den Bürgerinnen und Bürgern vor Ort erfolgen. Für den Auf- und Ausbau von Nahwärmenetzen sind klassische Akteure genauso notwendig wie Bürgerenergiegesellschaften. Die Kommune übernimmt dabei eine koordinierende Rolle. In Hallerndorf hatten wir die Gründung einer Genossenschaft als Betreibergesellschaft angeboten, damit sich Bürgerinnen und Bürger beteiligen können. Die Gemeinde wollte das aber nicht. Sie wollte alles in einer Hand sehen.
Im oberfränkischen Marktschorgast haben wir eine komplett andere Konstellation. Dort betreibt Naturstrom das Nahwärmenetz und die Energiezentrale. Wir haben aber nur zwei Wärmekunden: die Genossenschaft, die alle Anschlussnehmer bündelt, und die Gemeinde mit den kommunalen Liegenschaften. Das ist für uns als Betreiber ideal, denn die Genossenschaft akquiriert ebenfalls neue Mitglieder, also zusätzliche Wärmekunden. Außerdem erledigt sie die Abrechnungen für die Wärmekunden. Bei den Nahwärmeprojekten in Rheinland-Pfalz betreibt eine GmbH & Co. KG als Bürgergesellschaft, in der Bürger, Gemeinde und Naturstrom die Anteile halten, das Nahwärmenetz und die Energiezentrale. Im thüringischen Bechstedt haben wir die Besonderheit, dass eine Bürgergenossenschaft das Nahwärmenetz und Naturstrom die Energiezentrale betreibt.
Sind schon Projekte gescheitert, weil sich zu wenig Abnehmer gefunden haben?
Jungkunz: Es kommt häufig vor, dass sich mit Beginn der Tiefbau- und Rohrverlegearbeiten sowie in der Bauphase der eine oder andere doch noch dazu entschließt, mitzumachen und sein Haus an die Nahwärmeversorgung anschließen zu lassen. Das ist unsere Erfahrung aus den bisher realisierten Nahwärmeprojekten und eine besondere Herausforderung in der technischen Planung und Netzdimensionierung. Wir haben eher das Problem, dass wir irgendwann sagen müssen, dass die geplante Netzinfrastruktur und Heiztechnik für weitere Anschlussnehmer nicht mehr ausreicht.
Einen Anschlusszwang halten Sie also nicht für notwendig?
Jungkunz: Ein Anschlusszwang würde uns mehr Planungssicherheit geben. Klar. Eine Gemeinde kann in einem Neubaugebiet nach aktueller Rechtsprechung aber nur einen Anschlusszwang aussprechen, wenn ihr das Netz gehört und es auch betreibt. Das ist nicht immer der Fall, wie ich vorher erklärt habe. Wir stellen uns aber gerne dem Wettbewerb. In Hallerndorf, wo die Gemeinde nicht das Netz betreiben wollte, haben wir zum Beispiel die Bauherren mit einem Flyer über die Vorteile der Nahwärme informiert. Alle 29 haben sich für diese Lösung entschieden.
Das Interview führte Joachim Berner.
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