Anfang August hat die VDI-Gesellschaft Energie und Umwelt die Publikation „Photovoltaik im Energiesystem – der Joker der Energiewende?“ herausgegeben. Wir veröffentlichen einen Brief von Jörg Linnig, Inhaber des Krefelder Ingenieurbüros Eukon und VDI-Mitglied, der eine systemoffene Herangehensweise und stärkere Berücksichtigung der Solarthermie in der Energiewende fordert.
Brief von Jörg Linnig an den VDI (10.08.20):
„Zunächst mit Interesse, dann mit Entsetzen habe ich die Publikation „Photovoltaik im Energiesystem – der Joker der Energiewende?“ gelesen. Als langjähriges VDI-Mitglied (seit 1984) bitte ich darum, dieses Positionspapier zunächst zurückzuziehen und überarbeiten zu lassen.
In dieser Studie wird lediglich die elektrische Seite der Energiewende beleuchtet. Obwohl die Wärmeversorgung von Gebäuden einen sehr erheblichen Anteil unserer Gebäude beträgt, wird in der Studie davon ausgegangen, dass diese sukzessive komplett elektrifiziert werden wird. So steht unter 2.1.6 Wärmebereitstellung: “Zunehmend werden in Deutschland Systeme angeboten, mit denen über Fotovoltaikmodule primär die Wärmenachfrage beispielsweise eines Ein- oder Zweifamilienhauses gedeckt wird (sog. Sektorenkopplung).“ Zunächst einmal stellt sich die Frage, was dies mit Sektorkopplung zu tun hat. Welche Sektoren werden hier wie gekoppelt? Das, was hier beschrieben wird, ist keine Kopplung, sondern eine Substitution. Zum anderen sind diese Systeme durch die verfügbaren Dachflächen begrenzt. In diesem Zusammenhang wird dann ein Vergleich zu solarthermischen Systemen gezogen und zusammenhangslose Argumente aufgeführt, mit dem Ergebnis, das Solarthermie keine Option sei. Auf andere Energieträger und Systeme, wie Biomasse etc. wird erst gar nicht eingegangen.
Dass eine solarthermische Anlage Frostschutzmittel enthält, ist eine technische Notwendigkeit, die genauso gut für eine Wärmepumpe gilt. Auch die Tatsache, dass die Sonne im Winter weniger scheint und der solarthermische Ertrag im Winter geringer ist, gilt für die Photovoltaik genauso wie für die Solarthermie. Wenn die Sonne scheint, sind sowohl solarthermische Anlagen, insbesondere mit Vakuumröhren, sehr wohl in der Lage, nutzbare Erträge zu liefern.
Tatsächlich ist es sinnvoll, solarthermische Anlagen verstärkt in einem Gesamtsystem einzusetzen und so im Rahmen einer echten Sektorkopplung Synergien nutzen zu können. Zudem ist die Flächeneffizienz von solarthermischen Anlagen im Vergleich zu Fotovoltaikanlagen deutlich besser. Des Weiteren sind die dezentralen Speichermöglichkeiten von thermischer Energie deutlich preisgünstiger und effizienter als die Speicherung von elektrischer Energie.
Insbesondere durch Bauteilaktivierung und die Verwendung von Niedertemperaturspeichern es möglich, thermische Energie in vergleichsweisen großen Mengen über einen deutlich längeren Zeitraum zu speichern. Dies ist vor allem auch gesamtwirtschaftlich interessant, da hier Infrastrukturmaßnahmen wie Netzausbau etc., also Kosten für Infrastrukturmaßnahmen, entfallen oder zumindest reduziert werden können. Des Weiteren können derartige Systeme bei einer entsprechend weitsichtig geplanten Energiewende über Nahwärmeanbindungen vernetzt und als Regelenergie genutzt werden. Gerade durch die Verbindung von Solarthermie, Photovoltaik und Wärmepumpe sind äußerst interessante Anlagenkonzepte nicht nur möglich, sondern wurden von uns bereits realisiert. So haben wir in einer Anlage bei einem Kunden, die wir messtechnisch begleitet haben, eine Systemarbeitszahl von über 6 erreicht. Dies bedeutet, dass für jede Kilowattstunde, die dem Gebäude für Heizung und Warmwasserbereitung zur Verfügung gestellt wird, über 6 kWh Nutzwärme genutzt werden können. Dieses Konzept haben wir weiterentwickelt und haben derzeit eine Klimaschutzsiedlung mit 2 mal 8 Wohneinheiten in Betrieb genommen. Hier erwarten wir, dass wir die Wärmeversorgung für Heizung und Warmwasser sowie große Teile der elektrischen Energieversorgung nahezu netzautark bereitstellen können.
In Hinblick auf die Notwendigkeit von Energiespeicherung sollte daher auch die Frage nach der Netzdienlichkeit von Anlagensystemen untersucht werden. Hierzu stehen wir mit dem Passivhaus und mit dem Sonnenhaus-Institut in engem Kontakt, um diesen Aspekt möglicherweise im Rahmen eines Forschungsvorhabens weiter untersuchen zu können.
Als VDI-Mitglied wünsche ich mir in jedem Falle eine systemoffene Herangehensweise. Auch wenn das Fragezeichen im Untertitel der Joker der Energiewende steht, impliziert der Bericht, dass eine rein elektrische Energieversorgung im Wesentlichen basierend auf Photovoltaik das Heil der Energiewende ist. Ich persönlich halte derartige Aussagen für sehr gefährlich, da es um nichts Geringeres geht als um eine wirtschaftliche und resiliente Energieversorgung in der Zukunft. Diese muss unabhängig von wirtschaftlichen Interessen einiger globaler Player sein.
Gerade im Zeitalter der Digitalisierung ist eine kleinteilige dezentral organisierte Energieversorgung deutlich sicherer als großtechnische Lösungen mit Power to Liquid (PtL) oder PtX vergleichbaren zentralisierten Techniken. Ich denke mir, wir werden diese Techniken ebenfalls brauchen, allerdings nicht ausschließlich. So ist die Herstellung von Wasserstoff über Photovoltaik für die chemische Industrie sicherlich wesentlich sinnvoller, als Wasserstoff zu produzieren, um hieraus Strom für das Winterloch zu produzieren.
Hier wünsche ich mir, insbesondere vom VDI eine gesamtökonomische Betrachtung. Undifferenzierte Totschlagargumente, wie ich sie in dieser Studie vorgefunden haben, sollten jedenfalls kein Stil sein, den wir im VDI pflegen. Möglicherweise liegt die Ursache für solche Fehlsteuerung daran, dass die in der Studie genannten Autoren, die ich im Übrigen aus anderen Zusammenhängen heraus zum Teil sehr schätze, ihre Forschungsaufträge eben aus der Richtung erhalten, die gerne eine möglichst reinelektrische Zukunft mit großtechnischen Lösungen wünschen. Ingenieurtechnisch intelligente Lösungen bleiben so aber möglicherweise auf der Strecke. Das kann nicht im Sinne eines Vereins Deutscher Ingenieure sein.“
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Jörg Linnig ist Inhaber des Ingenieurbüros Eukon in Krefeld und Mitglied im Sonnenhaus-Institut e.V. und im Passivhaus-Institut.
Informationen zur VDI-Publikation finden Sie hier.
20. August 2020 at 14:38
Sehr geehrter Herr Linning, danke fürIhren Aufruf die Verbindung von Solarthermie, Photovoltaik und Wärmepumpe zusammen zu sehen. Das ist noch nicht alles. Der Energiestandard der zu heizenden Gebäude spielt eine gleichwertige Rolle. Die ersten 20% Energieensparung in der Gebäudesanierung oder Neubaustandard sind ganz leicht erreichbar. Da ist noch großes Potential zögerlich bearbeitet. Die EU-Vorgabe, dass öffentliche Gebäude ab 2019 und private Gebäude ab 2021 mit einen nahe Null-Standard bei der Heizenergieversorgung geplant werden sollten, ist in unserem wie in vielen anderen EU-Ländern ausgebremst. Eine Investitionskostenbetrachtung zusammen mit einer Betriebskostenbetrachtung sowie einem steigenden CO2-Preis findet in meinen Augen anscheinend nur oberflächlich statt. Solarthermie hat den Vorteil der günstigen Speicherung und der hohen Effizienz, die aber in einem Drittel des Jahres überwiegend nutzlos ist. Dabei ist der bauliche Aufwand und die Instandhaltung grob gesagt doppelt so teuer wie PV wenn es um Heimanlagen mit ca. 10 kW Heizleistung geht. Ein gewerkeübergreifendes Optimierungstool zu schaffen, würde helfen und grobe Peilungen verfeinern. MfG Paul Fläxl